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Schulöffnung: Fari Khabirpour über die Angst der Eltern

Wissenschaftlich ist nicht geklärt, welche Rolle Kinder bei der Übertragung des Corona-Virus spielen. Vielen Eltern bereitet die Schulöffnung deshalb Sorgen. Ein Gespräch mit dem Psychologen Fari Khabirpour.


Dr. Fari Khabirpour
Dr. Fari Khabirpour


Fari Khabirpour, ist es richtig, die Schulen und Betreuungseinrichtungen am Montag zu öffnen?

Im Prinzip ja, wir können die Kinder nicht auf unbegrenzte Zeit einsperren. Die Maßnahmen, die getroffen werden, konzentrieren sich sehr stark auf die körperliche Gesundheit der Menschen. Das ist auch in Ordnung. Die Regierung macht eine gute Arbeit, informiert die Menschen, appelliert an ihre Eigenverantwortung. Aber Gesundheit ist mehr als körperliche Gesundheit. Sie umfasst auch den emotionalen, den sozialen und den psychischen Bereich. Es ist wichtig, dass die Menschen wieder rausgehen und soziale Kontakte pflegen können. Und deshalb ist es auch wichtig, dass die Schulen wieder öffnen, wenngleich eine Rückkehr zur Normalität wie wir sie vorher kannten, zum jetzigen Zeitpunkt und bis auf Weiteres nicht realistisch ist. Wir müssen mit dem Virus leben, aber wir müssen auch aufpassen, dass das Virus nicht in alle Bereiche unseres Lebens eindringt, Kontakte behindert und seelische und psychische Probleme verursacht.


Überreagieren Eltern, die ihre Kinder aus Angst vor dem Virus nicht zur Schule schicken wollen?

Ich kann nachvollziehen, dass Eltern Angst haben. Die Informationen, die wir bekommen, sind ja auch alarmierend und das produziert Ängste. Wichtig ist, wie man damit umgeht. Man kann Kinder auch in die Verantwortung einbeziehen, statt sie total zu beschützen. Man kann Kindern zutrauen, dass sie fähig sind, Regeln einzuhalten und aufzupassen.

Das Virus ist ja nicht überall, sondern überträgt sich im direkten Personenkontakt. Wenn die Distanz eingehalten wird, braucht man nicht ständig in Angst zu leben. Man kann Kinder nicht zu hundert Prozent beschützen. Es gibt immer und überall Gefahren. Im Straßenverkehr erklärt man ihnen ja auch, worauf sie aufpassen müssen. Es ist wichtig, die Kinder auf Gefahren aufmerksam zu machen. Und man muss ihnen helfen, zu lernen, mit Situationen umzugehen. Wenn man Kindern ständig Angst macht, setzt man sie einer viel größeren Gefahr aus.


Eltern, die sagen, Gesundheit ist wichtiger als Schulpflicht, müssen sich bewusst sein, dass Gesundheit sich nicht auf die körperliche Unversehrtheit limitiert.

Ist diese Angst nicht anders, weil wir es mit einer ganz neuen und unbekannten Gefahr zu tun haben, die ganz neue Verhaltensweisen erfordert?

Die Gefahr ist da. Wir wissen aber auch von Experten, dass das Virus keine Gefahr ist, wenn man die Distanzregeln einhält. Das ist natürlich bei kleinen Kindern sehr schwierig. Sie können sich nicht selbst schützen. Deshalb wären Tests sehr sinnvoll.


Meinen Sie, es wäre besser, bei Kindern im Zyklus 1 den Eltern die Wahl zu lassen, ihre Kinder zur Schule zu schicken?

Die Politik diskutiert die Maßnahmen in enger Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern. Es sind keine rein politischen Entscheidungen, sondern politische Entscheidungen basierend auf der Meinung von Experten. Mein Rat wäre, unseren Politikern zu vertrauen. Das Virus wird uns noch eine Weile begleiten. Entscheidend ist also, dass Eltern und Kinder lernen, mit dem Virus umzugehen. Wir müssen unser Verhalten und unsere Gewohnheiten ändern, vorsichtig sein, dabei aber immer klar denken und unsere Entscheidungen auf Basis von Überlegungen treffen, nicht auf Basis von Angst.


Aber noch einmal zur Frage: Sollte man den Eltern die Entscheidung überlassen?

Wenn die Regierung entscheidet, die Schulen zu öffnen, dann gilt die gesetzliche Schulpflicht. Eltern können dann nicht entscheiden, ihre Kinder nicht zur Schule zu schicken. Insofern kann ich nicht etwas empfehlen, was juristisch nicht möglich ist.

Als Psychologe aber sage ich ja. Wenn Eltern nach eingehender Information trotzdem zu dem Schluss kommen, dass es für ihr Kind besser ist, nicht zur Schule zu gehen, dann sollen sie das entscheiden können. Ich basiere mich dabei auf die elterliche Verantwortung. Allerdings weiß ich nicht, ob das mit dem Gesetz zu vereinbaren ist. Das bedeutet auch nicht, dass ich mit der Entscheidung einverstanden bin. Ich plädiere eher dafür, den Kindern zu vertrauen, dass sie mit der Gefahr umgehen können.


Die Politik hat den Menschen Angst gemacht, was ja dazu geführt hat, dass sie sich an die Maßnahmen gehalten haben. Müsste die Politik den Bürgern jetzt nicht verstärkt Signale senden, dass sie ihnen vertraut?

Die Politik appelliert ja an die Eigenverantwortlichkeit der Menschen und erklärt, dass sie den Menschen zutraut, sich richtig zu verhalten. Aber ich kann mich nur richtig verhalten, wenn ich richtig informiert bin. Das ist manchmal problematisch.

Ich möchte niemandem einen Vorwurf machen, aber die Botschaften von Virologen gehen nicht immer in die gleiche Richtung. Ich spreche nicht von Fake News. Auch hochrangige und angesehene Wissenschaftler, die sich öffentlich zum Thema äußern, vermitteln widersprüchliche Dinge. Ich denke auch, dass die Politik mehr das Gespräch mit den Menschen suchen müsste. Wir brauchen Diskussionsforen und nicht nur den einseitigen Weg, dass die Regierung vorgibt, was zu tun ist. Auch die Medien spielen eine wichtige Rolle.


Ein Vorwurf an die Regierung ist ja, dass sie nur das kommuniziert, was sie kommunizieren möchte und dass sie wichtige Informationen, zum Beispiel zu den wissenschaftlichen Daten, auf denen sie ihre Entscheidungen trifft, nicht preisgibt...

Unklar ist, ob die Regierung bewusst Informationen nicht herausgibt, weil es manchmal besser ist, Informationen nicht herauszugeben, um nicht noch mehr Unruhe zu stiften und unnötige Ängste zu produzieren. Manchmal gibt es eben nicht mehr Informationen.

Wichtig ist – und da haben die Medien gute Arbeit geleistet -, dass man die Beziehung zwischen den Bürgern und den Institutionen nicht unnötig belastet hat. Die Beziehung muss positiv und vertrauensvoll bleiben. Wenn das Vertrauen in die Institutionen verloren geht, sind wir alle verloren. Gerade in solchen Situation muss das Vertrauen in die Institutionen bleiben. Das ist in Luxemburg zum Glück der Fall, nicht zuletzt aufgrund der Nähe der Bürger zu Politikern. In anderen Ländern ist das ganz anders, in den USA oder Großbritannien zum Beispiel. Dort ist das Vertrauen in die politische Führung nicht mehr vorhanden.


Angenommen, es kommt in den Schulen zu einer Infektionswelle. Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass es zu gegenseitigem Misstrauen und zu gegenseitigen Anschuldigungen kommt, sei es von Eltern gegenüber Eltern oder von Eltern gegenüber Lehrern?

Ich glaube an den gesunden Menschenverstand und gehe davon aus, dass die Eltern verantwortungsbewusst genug sind, ihr Kind den Behörden sofort zu melden, wenn es infiziert ist. Sollte ein Kind andere Kinder anstecken, ist es falsch, nach Schuldigen zu suchen und andere Eltern zu diskriminieren. Niemand steckt jemand anderen absichtlich an.


Diese Krise ist im Übrigen auch eine Chance für uns. Sie fördert das Solidaritätsgemeinschaftsgefühl. Wir sehen ja, wie sehr wir aufeinander angewiesen sind und dass wir zusammenarbeiten müssen – selbst mit Autoritäten, die man vielleicht vorher bekämpft hat oder gegen die man Misstrauen hegte. Die Krisensituation eignet sich auch dazu, bei Kindern die sozialen und emotional-spirituellen Fähigkeiten zu fördern.


Sie meinen, diese Krise ist eine Art Prüfstein für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft?

Genau so ist es. Sie ist eine Chance und zugleich eine Herausforderung. Wir sehen, inwiefern wir in der Lage sind, uns gegenseitig zu helfen und achtsam zu sein, uns selbst und anderen gegenüber. Es geht ja nicht nur darum, dass ich nicht krank werde, sondern auch darum, andere nicht anzustecken. Die Masken dienen ja auch nicht dem Selbstschutz, sondern um andere zu schützen.


Der Psychiater Dr. Jean-Marc Cloos hat in einem Interview mit dem Tageblatt gesagt, er gehe davon aus, dass es einen Ansturm auf die Luxemburger Psychatrien geben werde, es aber nicht genügend Psychiater gibt, um das aufzufangen.


In dieser Krise wird der Bedarf an psychiatrischer oder psychologischer Hilfe sicher steigen. Das Problem ist, dass Konsultationen bei gesetzlich anerkannten Psychotherapeuten nicht von der CNS erstattet werden und viele Familien nicht die Mittel haben, um Hilfe in Anspruch zu nehmen. Die Gespräche über eine Rückerstattung von psychotherapeutischen Behandlungen kommen nicht voran. Dieser Punkt muss unbedingt geklärt werden.

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