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Ein Einblick in das luxemburgische Bildungssystem und seine sozioökonomischen Auswirkungen

Interview - 27.04.24


Dr. Fari Khabirpour
Dr. Fari Khabirpour

 

Das Gespräch führte Catherine Ding, Absolventin eines Bachelors in Wirtschaft und Finanzen an der ESCP, aufgewachsen in Luxemburg in einem internationalen und multikulturellen Umfeld.

Ihr Gesprächspartner ist Fari Khabirpour, Schulpsychologe, Psychotherapeut und ehemaliger Leiter der schulpsychologischen Dienste in Luxemburg.

 

Catherine Ding (CD):

Entspricht das luxemburgische Schulsystem Ihren Vorstellungen?


Fari Khabirpour (FK):

Meiner Meinung nach entspricht das luxemburgische Schulsystem nicht unbedingt meinen Wünschen oder Vorstellungen. Es legt zu viel Wert auf die kognitiven Fähigkeiten der Schüler und vernachlässigt dabei wichtige Bereiche wie emotionale, soziale und künstlerische Kompetenzen. Ein gutes Bildungssystem sollte nicht nur die intellektuelle Entwicklung fördern, sondern auch den Schülern und ihren Eltern helfen, sich in diesen Bereichen weiterzuentwickeln. Hier gibt es noch viel zu tun, und das nicht nur in Luxemburg. Tatsächlich sehe ich das als ein weltweites Problem. Die einzigen Schulsysteme, die mir bekannt sind und in jüngster Zeit mehr auf emotionale Intelligenz setzen, sind die skandinavischen. Sie sind damit auch sehr erfolgreich und gehören heute zu den besten der Welt, weil sie Intelligenz nicht nur auf kognitive und intellektuelle Fähigkeiten reduzieren. Es gibt also noch viel Verbesserungspotenzial, auch in Luxemburg. Der erste Schritt wäre, die Definition von Intelligenz zu erweitern und nicht nur auf kognitive Aspekte zu beschränken. Während die Wissenschaft diese Erkenntnisse bereits aufgenommen hat, ist das Schulsystem in dieser Hinsicht noch nicht so weit. Sobald das passiert, wird sich auch die Ausbildung der Lehrer grundlegend verändern. Es gibt also noch viel Raum für Verbesserungen. Nicht nur in Luxemburg. Meiner Meinung nach handelt es sich hierbei um ein globales Problem.


CD: Ja, das stimmt. Welche wesentlichen Schritte müssen unternommen werden, um das Bildungssystem weiterzuentwickeln, damit Kinder besser auf zukünftige gesellschaftliche Rollen vorbereitet sind, und wie positioniert sich Luxemburg in dieser Hinsicht?


FK:

Meiner Auffassung nach sind die Lehrer das Herzstück eines erfolgreichen Schulsystems. Sie spielen eine zentrale und entscheidende Rolle in der Gestaltung und Umsetzung des Systems. Deshalb sollte man genau dort ansetzen: Es muss deutlich mehr in die Ausbildung und die fortlaufende Weiterbildung der Lehrkräfte investiert werden. Schon bei der Auswahl der angehenden Lehrer sollte genau darauf geachtet werden, welche Personen sich für diesen Beruf interessieren und ob sie die nötigen Grundkompetenzen mitbringen, um in diesem Bereich erfolgreich ausgebildet und später tätig zu werden. Für mich ist das einer der entscheidenden Punkte, auf den man sich konzentrieren muss. Auch die gesamte Lehrerausbildung ist von größter Bedeutung. In diesem Bereich gibt es noch viel zu tun, und hier muss weiterhin intensiv gearbeitet werden. Letztlich steht und fällt das Bildungssystem mit den Lehrern, die es gestalten.




CD:

Glauben Sie, dass Luxemburg über ausreichend finanzielle Mittel verfügt, um die Lehrer weiterzubilden und eine neue Ausbildungsstruktur zu entwickeln? Dabei darf man nicht vergessen, dass wir bereits jetzt mit einem Mangel an Lehrkräften zu kämpfen haben. Trotz der attraktiven Gehälter, die der Staat bietet, gibt es nicht genügend Menschen, die den Lehrerberuf ergreifen möchten. Denken Sie, dass wir sowohl die finanziellen Ressourcen als auch genug Lehrkräfte haben, um diese Reformen umzusetzen und die Lehrer entsprechend weiterzubilden?


FK:

Ich denke, es ist weniger eine Frage des Geldes. An Ressourcen mangelt es uns nicht. Die Lehrer, die bereits im System sind, müssen ja nicht entlassen und durch neue ersetzt werden. Sie können weitergebildet werden, und es gibt bereits viele Fortbildungsprogramme. Man müsste lediglich die Inhalte dieser Programme überarbeiten und anpassen. Es geht also nicht um finanzielle Mittel – Luxemburg investiert ohnehin schon sehr viel in den Bildungsbereich, wahrscheinlich mehr als viele andere Länder. Ich bin daher der Meinung, dass dies nicht das eigentliche Problem darstellt. Das wahre Problem besteht vielmehr darin, dass oft die falschen Personen an entscheidenden Positionen sitzen.


Das soll keine Kritik an den Lehrkräften sein – sie bemühen sich nach Kräften. Allerdings ist nicht immer sichergestellt, dass diejenigen, die bestimmte Positionen innehaben, auch wirklich die am besten Qualifizierten dafür sind.


CD:

Das ist allerdings ein großes und schwieriges Thema. Kein Minister wagt es, diese Herausforderung wirklich anzugehen, da dies starke Reaktionen hervorrufen würde. Die Lehrer könnten sich angegriffen fühlen und solidarisch gegen jeden Minister oder jede politische Maßnahme wehren, die ihre Rolle, Position oder sogar ihre berufliche Identität infrage stellt.


FK:

Ja, das ist natürlich eine äußerst schwierige Angelegenheit, und es lässt sich auch nicht von heute auf morgen lösen. Man müsste schrittweise dafür sorgen, dass neue Personen Zugang zum System finden. Gleichzeitig sollte man die Lehrkräfte, die bereits da sind, durch gezielte Weiterbildung weiter fördern.


Entscheidend bei der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften ist, dass sie sich ihrer eigenen Einstellungen und Vorstellungen über das Wesen des Kindes bewusst werden. Die Realität, wie wir sie wahrnehmen, ist immer subjektiv – wir betrachten unsere Wahrnehmung als objektiv und definieren sie somit als "realistisch". Dabei bleibt unklar, was die tatsächliche objektive Realität ist. Wie wir die Realität wahrnehmen, beeinflusst unsere Beziehung zu ihr, und das gilt auch für unser Verständnis von Erziehungssystemen, einschließlich des luxemburgischen, aber auch allgemein.


Unsere Wahrnehmung des Kindes – wie wir es verstehen und betrachten – wird oft von einem materialistischen Menschenbild bestimmt. Wir neigen dazu, den Menschen als ein rein biologisches Wesen zu sehen, das in erster Linie darauf ausgerichtet ist, zu überleben. In dieser Sichtweise bestimmen Instinkte und Überlebenstriebe, wie zum Beispiel das Freudsche Konzept des Überlebenstriebs, das Verhalten des Menschen. Dies führt zu einer Auffassung, dass der Mensch in erster Linie darauf bedacht ist, seine Grundbedürfnisse zu stillen, etwa Nahrung zu bekommen, und sich in einem täglichen Überlebenskampf befindet.


In diesem Kontext definieren wir auch Intelligenz häufig sehr eng und materialistisch, als etwas, das sich ausschließlich auf kognitive Fähigkeiten bezieht. Wissen wird dabei als eine Form des Konsums betrachtet, ähnlich wie Nahrung. Genauso wie wir Nahrung aufnehmen, um zu überleben, sammeln wir Wissen, um in der Gesellschaft zu bestehen und möglicherweise Macht auszuüben. Wissen wird somit zur Quelle von Einfluss und Kontrolle: Wer viel weiß, kann über andere dominieren.


Diese Sichtweise mag in gewisser Hinsicht realistisch erscheinen, doch sie ist zu stark eingeschränkt. Wenn wir unser Menschenbild erweitern, erkennen wir, dass der Mensch nicht nur ein biologisches Wesen ist. Der Mensch besitzt auch spirituelle Qualitäten – und hiermit ist keine religiöse Spiritualität gemeint, sondern vielmehr die Fähigkeit, über das rein Materielle hinauszugehen. Zu diesen spirituellen Aspekten gehört beispielsweise die Fähigkeit, Liebe zu empfinden.


Es ist daher wichtig, das Menschenbild im Bildungssystem zu erweitern, sodass nicht nur die kognitive Intelligenz im Vordergrund steht, sondern auch emotionale, soziale und spirituelle Potenziale gefördert werden. Nur so kann eine ganzheitliche Entwicklung des Kindes ermöglicht werden.


Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Fähigkeit des Menschen, sich in andere hineinzuversetzen – die Empathie. Dazu kommen weitere Fähigkeiten wie Intuition, die Teil der spirituellen Dimension des Menschen sind. Der Mensch ist nicht nur durch materielle Aspekte bestimmt. Seine soziale Kompetenz und sein soziales Wesen spielen eine zentrale Rolle. Es geht nicht nur um das Individuum allein, sondern darum, den Menschen als Teil einer Gemeinschaft zu sehen. Ein rein egozentrisches Verhalten, das sich nur auf das eigene Überleben fokussiert, entspricht nicht diesem erweiterten Verständnis des Menschen.


Unser aktuelles Bildungssystem, insbesondere in Luxemburg, basiert jedoch noch stark auf einer rein biologischen oder materiellen Definition des Menschen. Wenn wir unser Menschenbild erweitern und den Menschen als soziales und spirituelles Wesen begreifen, dann müssen wir auch überlegen, was in die Erziehung integriert werden sollte. Es geht nicht nur darum, Wissen zu vermitteln. Im Moment konzentriert sich unser Bildungssystem vor allem auf den Erwerb von Fakten und Informationen in verschiedenen Fächern wie Geschichte, Geografie, Mathematik und Sprache. All diese Bereiche sind wichtig, aber sie fokussieren sich zu stark auf das Materielle und auf kognitive Fähigkeiten.


Der Mensch besitzt jedoch auch andere Qualitäten, die gefördert werden müssen. Er sollte nicht nur lesen und rechnen lernen, sondern auch lernen, zu fühlen, sich in Beziehung zu anderen zu setzen, zuzuhören und die Schönheit der Welt zu erkennen. Hier kommt die Kunst ins Spiel, die oft vernachlässigt wird, weil unser Bildungssystem auf einem sehr materialistischen Menschenbild basiert. Der Mensch wird darin hauptsächlich als Konsument von Wissen gesehen, ähnlich wie jemand, der Nahrung konsumiert, um zu überleben.


Es ist daher entscheidend, welches Menschenbild unserem Bildungssystem zugrunde liegt. Momentan ist es stark auf ein materialistisches Bild fokussiert, das den Menschen hauptsächlich als biologisches Wesen versteht. Diese enge Sichtweise beschränkt auch das Verständnis von Intelligenz. Um eine ganzheitliche Entwicklung zu ermöglichen, müssen wir unser Erziehungssystem auf ein umfassenderes Menschenbild aufbauen, das sowohl kognitive als auch emotionale, soziale und kreative Fähigkeiten gleichermaßen berücksichtigt.


CD: Wie groß ist Ihrer Meinung nach die Verantwortung und der Einfluss einer guten Ausbildung auf die soziale und wirtschaftliche Entwicklung eines Menschen?


FK:Diese Bedeutung kann man kaum überschätzen. Für mich ist Bildung alles.


CD:Können Sie erläutern, wie das luxemburgische Bildungssystem mit den Problemen der Vermögens- und Wissensungleichheit umgeht?


FK: Was genau verstehen Sie unter Vermögens- und Wissensungleichheit?


CD:Zum Beispiel Kinder aus sozial benachteiligten Familien, deren Eltern wenig verdienen oder kulturell nicht offen sind. Diese Kinder kommen oft aus einem Umfeld, das sowohl sozial als auch wirtschaftlich weniger privilegiert ist. Statistiken zeigen, dass solche Kinder häufig weniger Chancen haben, sich weiterzuentwickeln, auf bessere Schulen zu gehen oder später gute Jobs zu finden. Wie könnte das luxemburgische Bildungssystem diesen Kindern helfen, um mehr Fairness und Chancengleichheit zu gewährleisten, auch wenn die Schulbildung in Luxemburg kostenlos ist?


FK:Das luxemburgische Schulsystem benachteiligt und diskriminiert in gewisser Weise Schüler aus wirtschaftlich schwächeren Familien sowie solche mit Migrationshintergrund. Ich habe das in einem meiner Artikel näher beschrieben. Es ist nicht so, dass das System bewusst diskriminiert, aber diese Kinder fühlen sich ausgegrenzt, weil sie in einem System, das nicht auf ihre Bedürfnisse ausgelegt ist, keinen Platz finden. Historisch betrachtet wurde unser Schulsystem für eine eher elitäre Gruppe in der Gesellschaft geschaffen. Es war nie für die breite Masse gedacht. Mit der Einführung der Schulpflicht kamen dann Kinder aus allen sozialen und kulturellen Schichten hinzu. Doch die Schule war und ist nicht für diese Vielfalt konzipiert. Sie ist nicht an die heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse angepasst und daher überfordert.


Dies zeigt sich beispielsweise bei der Mehrsprachigkeit. Viele betrachten das als Vorteil des luxemburgischen Systems, weil die Kinder mehrere Sprachen lernen.


CD:Aber das ist ein Trugschluss. Mehrsprachigkeit ist nicht immer ein Vorteil, weil auch Luxemburger Kinder in zwei Fremdsprachen eingeschult werden, was ihnen manchmal Schwierigkeiten bereitet.


FK: Richtig, auch Luxemburger Kinder haben Probleme, aber weniger als Kinder aus anderen kulturellen oder sprachlichen Hintergründen. Bei Luxemburger Kindern können oft die Eltern zu Hause helfen, insbesondere bei der deutschen Sprache. Auch wenn Deutsch nicht ihre Muttersprache ist, können die Eltern zumindest unterstützend eingreifen. Kinder aus Migrantenfamilien haben diesen Vorteil nicht. Sie sind häufig auf sich allein gestellt, und hier beginnt die Diskriminierung. Deswegen plädiere ich schon seit Langem dafür, dass Luxemburg seine Schulen stärker auf Luxemburgisch ausrichtet, also in der Muttersprache unterrichtet.


Als ich das vorschlug, wurde mir vorgeworfen, ich bewege mich politisch nach rechts. Das ist jedoch nicht mein Anliegen. Mir geht es nicht um eine politische Positionierung, sondern um die Verbesserung der Bildungschancen. Der Sprachunterricht ist eine große Hürde für viele Kinder, um sich in die Gesellschaft zu integrieren. Sehr viele Schüler – besonders diejenigen aus benachteiligten Familien oder mit Migrationshintergrund – schaffen es nicht, die Schule mit einem Abschluss zu beenden. Die Schulabbrecherquote ist bei diesen Kindern besonders hoch.


CD: Sie sind also der Meinung, dass Kinder von Anfang an auf Luxemburgisch unterrichtet werden sollten und dann ab der ersten oder zweiten Klasse Deutsch und Französisch integriert werden? Aber was ist mit den Kindern aus multikulturellen Familien, die kein Luxemburgisch sprechen? Glauben Sie nicht, dass diese Kinder benachteiligt wären, wenn Luxemburgisch die erste Unterrichtssprache wäre?


FK: Die Kinder aus multikulturellen Familien sind bereits benachteiligt, unabhängig davon, welche Sprache als Unterrichtssprache verwendet wird. Derzeit müssen sowohl luxemburgische als auch ausländische Kinder von Anfang an in einer Fremdsprache unterrichtet werden. Das ist problematisch, insbesondere für Luxemburger Kinder, die ebenfalls in einer Fremdsprache eingeschult werden, obwohl Luxemburgisch ihre Muttersprache ist.

Wie wir Kindern aus anderen kulturellen und sprachlichen Hintergründen helfen können, ist eine separate Frage, die ohnehin angegangen werden muss – unabhängig davon, ob die Unterrichtssprache Luxemburgisch, Deutsch oder Französisch ist. Das Problem bleibt dasselbe. Wenn wir Luxemburgisch aus dem Schulsystem entfernen und nur auf Deutsch oder Französisch setzen, würde das die Situation für diese Kinder nicht erleichtern.


Ich glaube sogar, es wäre weniger problematisch für alle – auch für die sogenannten Ausländer – wenn klar wäre, dass Luxemburgisch die Landessprache ist. Es gibt immer noch viele Erwachsene, die seit Jahren in Luxemburg leben und kein Luxemburgisch sprechen. Sie leben quasi neben der luxemburgischen Gesellschaft her, ohne sich wirklich in die Realität des Landes zu integrieren. Das hat auch mit unserem Bildungssystem zu tun. Ich gebe Ihnen ein Beispiel.


FK: Meine Eltern sind vor über 60 Jahren nach Luxemburg gekommen. Ich war damals sieben oder acht Jahre alt und wurde in die Europaschule eingeschult, nicht in eine luxemburgische Schule. Ich erinnere mich noch, dass meine Eltern einige Freunde und Bekannte fragten: "Welche Sprache sollten unsere Kinder hier lernen?" Sie stammten aus Persien, unser Ursprungsland ist Persien. Damals war die politische Situation dort eine ganz andere als heute. Sie kamen nicht als Flüchtlinge, sondern wollten einfach weg, aus anderen Gründen. Europa und schließlich Luxemburg waren ihre Wahl, aber sie wurden nicht gezwungen, das Land zu verlassen.


Sie wollten sich hier integrieren und Luxemburg zu ihrer neuen Heimat machen. Als sie dann nach der Sprache fragten, bekamen sie von den Luxemburgern die Antwort: "Am besten ist es, wenn sie Französisch lernen." Luxemburg wurde ihnen also als ein Land präsentiert, dessen Hauptsprache Französisch sei. Meine Eltern haben daraufhin Französisch gelernt. Noch heute, über 65 Jahre später, spricht meine Mutter, die mittlerweile über 90 Jahre alt ist, kein Luxemburgisch.


CD: Ja, das ist leider oft der Fall. Die Sprache wird immer weniger gesprochen.


FK: Genau. Wie kann sich jemand in ein Land integrieren, wenn er die Sprache des Landes nicht beherrscht? Das gilt nicht nur für Erwachsene, sondern auch für Kinder. Wenn Kinder in die Schule kommen, wird ihnen gesagt: "Jetzt lernst du erst einmal Deutsch, später dann auch Französisch." Luxemburgisch wird im Unterricht kaum verwendet. Diese Kinder lernen zwar Deutsch und später Französisch, aber in der Sekundarschule kommen dann weitere Fächer wie Mathematik oder Geschichte auf Französisch oder Deutsch hinzu. Sie müssen sich ständig auf eine neue Sprache konzentrieren.


Und dann wundert man sich, warum so viele Kinder Probleme in Mathematik haben. Ein Grund dafür ist, dass sie Mathematik nicht in ihrer Muttersprache lernen, sondern in einer Fremdsprache, was die Sache erheblich komplizierter macht. Deswegen ist die Sprachfrage für mich eine der wichtigsten, die nach wie vor ungelöst ist.


CD: Glauben Sie, dass das luxemburgische Schulsystem – ich spreche von der öffentlichen Schule, nicht der Europaschule – im Vergleich zu anderen Ländern besser abschneidet? Sie haben Skandinavien als Beispiel genannt, aber sehen Sie im Durchschnitt einen Vorteil im luxemburgischen System gegenüber anderen Ländern wie Frankreich?


FK: Ich sehe nicht unbedingt, wo man einen Vorteil erkennen könnte. Das luxemburgische System ist in vielen Aspekten eine Kopie des französischen.


CD: Ja, aber abgesehen vom formalen Schulsystem – wir haben hier eine Vielzahl von Fächern, und das Niveau scheint höher zu sein als in Frankreich. Als ich an die Universität ging, hatten die französischen Studierenden im ersten Jahr große Schwierigkeiten, eigenständig zu lernen und die Inhalte zu verstehen. Vieles, was sie an der Universität neu lernen mussten, hatten wir in Luxemburg bereits in der Sekundarschule behandelt. Für uns war das Studium dadurch einfacher, weil wir uns nur noch vertiefen, aber nicht von Grund auf lernen mussten. Auch das Gehalt der Lehrer hier ist deutlich höher als in Frankreich.



FK: In diesem Bereich gibt es möglicherweise einige Vorteile. Ich habe die verschiedenen Systeme nicht umfassend miteinander verglichen, aber grundsätzlich unterscheidet sich das luxemburgische Schulsystem nicht so sehr vom französischen. Ein Punkt, in dem Luxemburger Schüler vielleicht geförderter sind, könnte darin liegen, dass Lehrer hier besser bezahlt werden und sich dadurch möglicherweise stärker engagieren. Das höhere Wissensniveau, das man bei luxemburgischen Schülern im Vergleich zu französischen oder deutschen Schülern feststellen kann, hängt vielleicht auch damit zusammen. Wobei ich betonen möchte, dass das allgemeine Bildungsniveau auch in Luxemburg tendenziell sinkt. Immer mehr Kinder verlieren die Motivation, zur Schule zu gehen und zu lernen. Früher gingen Schüler vielleicht noch gerne zur Schule, weil sie lernen wollten, aber das ist heute nicht mehr so stark ausgeprägt. Das wirkt sich natürlich auch auf das allgemeine Wissensniveau aus, das eher rückläufig ist.


CD: Also, um auf den Punkt zurückzukommen: Die zwei wichtigsten Aspekte, die im luxemburgischen Schulsystem verbessert oder verfeinert werden müssten, wären Ihrer Meinung nach die Sprachen, die den Kindern beigebracht werden, sowie die pädagogischen Fähigkeiten der Lehrer. Sehen Sie das so, oder gibt es noch andere Punkte, die aus Ihrer Sicht angegangen werden sollten?


FK: Ja, die pädagogischen Fähigkeiten der Lehrer sind von entscheidender Bedeutung. Ebenso wichtig ist es, dass die Kinder in ihrer Muttersprache eingeschult werden. Ich habe nichts dagegen, dass später weitere Sprachen erlernt werden – im Gegenteil, das ist wichtig. Die Mehrsprachigkeit in Luxemburg empfinde ich als positiv. Aber die Einschulung sollte in der Muttersprache erfolgen. Das gilt auch für ausländische Kinder, die wissen sollten, dass Luxemburgisch die eigentliche Landessprache ist.


Die pädagogischen Fähigkeiten der Lehrer sind ein weiterer wichtiger Punkt. Natürlich ist es gut, dass Lehrer in Luxemburg gut verdienen – das sollte auch in allen Ländern der Fall sein. Der Lehrerberuf ist einer der wichtigsten Berufe in der Gesellschaft, und Lehrer sollten dementsprechend entlohnt werden. Ein gutes Gehalt trägt zum Selbstwertgefühl bei und motiviert die Lehrer, ihre Arbeit gut zu machen. Doch das allein reicht nicht. Der eigentliche Antrieb für einen Lehrer sollte nicht das Gehalt sein, sondern der Wunsch, Kinder in ihrer Entwicklung zu unterstützen und ihr Potenzial zu fördern.


Ein guter Lehrer sollte seinen Beruf aus Überzeugung und mit Leidenschaft ausüben. Es geht nicht nur darum, die Materie gut zu beherrschen, sei es Mathematik, Sprache oder Geschichte. Wichtig ist, dass der Lehrer das Kind als ein Wesen sieht, das lernen will und kann. Die Frage sollte immer sein: Wie kann ich die Freude am Lernen bei den Kindern wecken?


Ich erinnere mich an eine Situation während meiner Zeit als Schulpsychologe. Ein Lehrer kam zu mir und sagte, er bräuchte meine Hilfe, weil er jeden Morgen Panik verspürte, wenn er zur Schule musste. Er erzählte mir, dass ihm schon beim Gedanken, vor den Kindern zu stehen, schlecht wurde. Als ich ihn fragte, warum das so sei, antwortete er: "Ich kann diese Kinder nicht leiden. Ich reagiere fast allergisch auf sie." Da musste ich ihm sagen: "Entweder änderst du radikal deine Einstellung zu Kindern, oder du suchst dir einen anderen Beruf." Das war natürlich ein Extremfall, aber es zeigt, wie wichtig die Einstellung eines Lehrers ist. Wenn ein Lehrer in einem Kind nur ein störendes oder schwieriges Wesen sieht, sollte er diesen Beruf vielleicht nicht ausüben.


CD: Das war sehr aufschlussreich. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, um Ihre Gedanken mit mir zu teilen.

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